Nachhaltigkeit in öffentlichen Softwareausschreibungen in der Schweiz

Thema
Die vorliegende Masterarbeit untersucht, wie ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte wirksam in der öffentlichen Softwarebeschaffung in der Schweiz berücksichtigt werden können. Im Zentrum steht die Identifikation geeigneter Handlungsfelder und Bewertungskriterien, die eine nachhaltige Ausgestaltung von Softwareausschreibungen ermöglichen. Auf Basis einer qualitativen Analyse wird der aktuelle Umsetzungsstand in kommunalen Ausschreibungen nach der IVöB-Revision 2021 systematisch ausgewertet. Ergänzend werden bestehende Herausforderungen analysiert und praxisnahe Lösungsansätze aus Expert:innensicht identifiziert. Ziel ist es, Wege aufzuzeigen, wie Nachhaltigkeit stärker, strategischer und wirksamer im öffentlichen Softwarebeschaffungsprozess verankert werden kann.
Relevanz
Nachhaltigkeit zählt zu den zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Der öffentliche Sektor ist als grösste Einkäuferin der Schweiz besonders gefordert, seiner Vorbildfunktion gerecht zu werden. Software verursacht als immaterielles Produkt relevante ökologische und soziale Wirkungen, bleibt in bestehenden Beschaffungsleitfäden aber weitgehend unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Nachhaltigkeit im Softwarebereich konkret operationalisiert und in der Praxis berücksichtigt werden kann. Diese Masterarbeit adressiert eine doppelte Forschungslücke, indem sie sowohl die gelebte Vergabepraxis empirisch untersucht als auch theoretisch fundierte Kriterien für eine nachhaltige Softwarebeschaffung identifiziert.
Ergebnisse
Die Analyse zeigt, dass Nachhaltigkeit in den untersuchten Ausschreibungen überwiegend über obligatorische Mindeststandards wie Umwelt- und Arbeitsrecht abgedeckt wird. Weiterführende ökologische Anforderungen – etwa zur Ressourceneffizienz oder Nutzungsautonomie – bleiben ebenso selten wie soziale Kriterien jenseits von Sicherheit (Datenschutz und IT-Sicherheit) und Arbeitsrechtskonformität. Eine systematische und strategisch verankerte Berücksichtigung von Nachhaltigkeit ist kaum erkennbar. Die Interviews verdeutlichen mehrere Hürden: Software ist aufgrund ihrer immateriellen Natur im Gegensatz zu Hardware schwer vergleichbar hinsichtlich Nachhaltigkeit, bestehende Leitfäden und Labels wie der «Blaue Engel» sind wenig bekannt, soziale Kriterien kaum operationalisiert. Zugleich werden praxisnahe Lösungsansätze sichtbar: Nachhaltige Softwareentwicklung, offene Schnittstellen, vorgelagerte Nachhaltigkeitsprüfungen sowie gezielte Weiterbildung und strategische Steuerung in Beschaffungsstellen bieten zentrale Hebel für eine wirksamere Umsetzung.
Implikationen für Praktiker:innen
- Vergabestellen sollten bestehende Instrumente wie den Leitfaden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung von Software des deutschen Umweltbundesamtes basierend auf dem Blauen Engel aktiver nutzen, internes Fachwissen gezielt aufbauen und Nachhaltigkeit durch klare Zuständigkeiten sowie strategische Steuerung im Beschaffungsprozess verankern.
- Weiche Zuschlagskriterien sind gezielt einzusetzen, um nachhaltige Angebote sichtbar zu honorieren und Anbietende gezielt zu motivieren.
- Koordinierte Anforderungen mehrerer Beschaffungsstellen können als kollektive Marktsignale wirken und die Wirkung einzelner Ausschreibungen verstärken.
- Softwareanbietende sollten Nachhaltigkeitsprinzipien wie Green Coding, Schnittstellenoffenheit und langfristigen Support in ihre Entwicklungsprozesse integrieren sowie soziale Aspekte wie Barrierefreiheit und digitale Teilhabe systematisch berücksichtigen.
- Politische und institutionelle Entscheidungsträger:innen sind gefordert, Leitfäden bekannter zu machen, Nachhaltigkeit in IT-Ausbildungen zu verankern und gemeinsam mit der Forschung soziale Bewertungskriterien weiterzuentwickeln.
Methoden
Zur Beantwortung dieser Fragestellungen wurde ein systematischer Kriterienkatalog mit zehn Handlungsfeldern entwickelt – drei übergeordnete im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit (Umweltrecht, Ressourceneffizienz, Nutzungsautonomie) und sieben im Bereich sozialer Nachhaltigkeit (Sicherheit, Vertrauen / Transparenz, Fairness, Mitarbeitendenförderung, Gesundheit, Menschenrechte und soziale Netzwerke). Insgesamt wurden 69 Einzelkriterien erarbeitet, basierend auf wissenschaftlicher Literatur, einschlägigen Leitfäden sowie dem politisch-rechtlichen Rahmen der IVöB. Auf Grundlage dieses Katalogs wurde eine qualitative Inhaltsanalyse von drei kommunalen Softwareausschreibungen durchgeführt. Ergänzend wurden drei halbstrukturierte Experteninterviews mit Vertretern aus Wissenschaft, öffentlicher Beschaffung und IT-Nachhaltigkeitszertifizierung ausgewertet.