Transformation der Arbeitspraktiken durch Generative AI: Analyse der Potenziale in der Psychotherapie

Thema und Relevanz
Die rasante Entwicklung von Generative AI (GenAI) verändert auch die psychische Gesundheitsversorgung. Während der Einsatz in der therapeutischen Interaktion mit Patient:innen bereits breit diskutiert wird, fehlt bislang eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Potenzial von GenAI zur Unterstützung und Entlastung von selbstständig tätigen Psychotherapeut:innen in der Schweiz bei Aufgaben, die ausserhalb der Therapie liegen – insbesondere in der Dokumentation, Kommunikation und Qualitätssicherung. Die Relevanz dieses Themas zeigt sich nicht zuletzt im anhaltenden Mangel an Psychotherapieplätzen: Während die Nachfrage nach psychotherapeutischer Unterstützung steigt, sind viele Therapeut:innen an ihrer Kapazitätsgrenze. Effizienzgewinne in nicht-therapeutischen Bereichen könnten somit einen indirekten Beitrag zur besseren Versorgungslage leisten. Ziel dieser Arbeit war es, jene Einsatzmöglichkeiten von GenAI zu identifizieren, die ein hohes Potenzial aufweisen, und zu analysieren, unter welchen Bedingungen sie tatsächlich genutzt werden.
Ergebnisse
Die empirischen Erkenntnisse zeigen, dass Psychotherapeut:innen das Potenzial von GenAI insbesondere bei belastenden oder zeitintensiven Aufgaben wie dem Verfassen von Berichten, der Dokumentation von Erstgesprächen und der Bearbeitung von Therapieplatzanfragen erkennen. In diesen Bereichen kann die Integration von GenAI in die Arbeitsroutinen von selbstständigen Psychotherapeut:innen zu einer zeitlichen und mentalen Entlastung führen. Dagegen wurde der Einsatz bei komplexeren Aufgaben wie Diagnostik oder Supervision mehrheitlich kritisch bewertet – vor allem wegen mangelnden Vertrauens, fehlenden Kompetenzen und Datenschutzbedenken. Entscheidend für eine Nutzung ist, dass entsprechende Tools intuitiv, individualisierbar und datenschutzkonform gestaltet sind.
Implikationen für Praktiker:innen
- Für Psychotherapeut:innen kann sich der Einsatz von GenAI in ausgewählten Bereichen lohnen und zu einer Entlastung führen.
- Psychotherapeutische Berufsverbände sollten praxisnahe Informationen, Best-Practice-Beispiele und Austauschformate anbieten, um Vertrauen und Kompetenzen im Umgang mit GenAI zu fördern.
- Entwickler:innen von AI-Tools sollten Lösungen bereitstellen, die intuitiv bedienbar, datenschutzkonform und auf die konkreten Bedürfnisse selbstständiger Fachpersonen zugeschnitten sind.
- Für Betriebswirtschaftler:innen wird sichtbar, dass das grösste Potenzial in der Entlastung administrativer Prozesse liegt und begleitende Implementierungsangebote zielführend sein können.
Methoden
Die Masterarbeit basiert auf einem qualitativ-explorativen Design mit leitfadengestützten Interviews mit zehn Psychotherapeut:innen und einer Fachverbandsvertreterin. Der Interviewleitfaden orientierte sich an vorgängig identifizierten potenziellen Use Cases für den Einsatz von GenAI in der psychotherapeutischen Praxis und erhob Erfahrungen, Nutzenbewertungen und Hürden. Die Auswertung erfolgte mittels inhaltlich-strukturierender Inhaltsanalyse nach Kuckartz & Rädiker (2024) auf Basis eines deduktiv erstellten Kategoriensystems, das aufgrund der empirischen Erkenntnissen induktiv ergänzt wurde. Als theoretischer Rahmen diente die Affordance-Theorie, die technologische Handlungsmöglichkeiten als Ergebnis der Interaktion zwischen Technologie, Nutzer:in und Kontext versteht.